Samstag, 21. Dezember 2013

Hallohallo,

ich sitze gerade an meinem Schreibtisch und bin einigermaßen nachdenklich/durcheinander/verwirrt. Ich habe wirklich viel zu sagen und entschuldige mich im Vorfeld bei jenen Lesenden, die sich langweilen werden oder sowas.

Ich bin von mehreren Seiten auf diese Panorama-Doku und von Anna auch noch auf einen weiterführenden Artikel aufmerksam gemacht worden (danke!), welche sich in aller Kürze mit der Volunteer-Industrie auseinandersetzen, die für Kohle (meist junge) Menschen in die Welt schickt, um "Gutes zu tun". Im Film ging es sogar speziell um Ghana und ich wurde noch einmal sehr stark an die Zeit erinnert, als ich meine Flüge gebucht und die Impfungen und das Visum in der Tasche hatte, als die Sache halt safe war. Damals habe ich mich manchmal gefragt: "Was soll das eigentlich? Warum machst du das? Und für wen?" Kann ich jetzt auch noch nicht beantworten. Es wäre sicherlich geheuchelt, wenn ich behaupten würde, dass es nicht zu großen oder vielleicht sogar überwiegenden Teilen um mich geht. Manche Menschen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen in der Vergangenheit gegen diese Art von Aktivität entschieden haben, mögen denken, dass ich mich jetzt nachträglich rechtfertigen will - gerade weil sie das scheinbar schon immer besser gewusst haben. Darum soll es hier möglichst nicht gehen. Ich würde einfach gar nicht darüber sprechen, wenn es mich nicht sowieso permanent beschäftigen und bei allem, was ich hier tue, quasi hinter der nächsten Ecke lauern würde. Ja, ich bin wohl unter anderem hier, weil ich etwas lernen möchte. Mit meinem Studium im Hinterkopf kann ich sagen, dass ich hier tatsächlich auch jeden Tag etwas über Bildung und Bildungssysteme lerne. Und ja, natürlich möchte ich, wie wahrscheinlich jeder von Euch, in meinem Leben vornehmlich "Gutes" tun, was auch immer das im konkreten Fall bedeuten mag. Es ist mir klar, dass die zweieinhalb Monate, die ich hier tatsächlich unterrichten werde, weder die Zukunft der Kinder nennenswert beeinflussen noch das ghanaische Bildungssystem in meinem Sinne reformieren werden. Ich bin auch nicht hier, um mich für Kleinstgeschenke wie einen Heiligen feiern zu lassen - auch wenn sich das, wie Ihr Euch eventuell vorstellen könnt, in reflexionsfreien Momenten natürlich schön anfühlen kann. Was also sonst?

Wie die Schulleiterin in der Doku schon sagt: "Money". Das was hier fehlt ist Kohle. An jeder Ecke. Und das nicht in dem Sinne, dass ich feststelle, dass es in Ghana nicht so picobello aussieht wie bei "uns". Hier fehlen mitunter elementarste Dinge, wie die Doku richtig zeigt: Stifte, die 10 Cent für's Schulessen, Kleidung, Schulbücher. Meine Arbeit - und mittlerweile sehe ich darin meinen tatsächlichen "Freiwilligendienst" - wird anfangen, wenn ich wieder zurück in Deutschland bin. Meine Schule hat das Glück, durch einen Förderverein aus Deutschland finanziell in großem Umfang unterstützt zu werden. Und zwar so, dass hier vor Ort entschieden werden kann, was mit der Kohle passiert - ohne dass der weiße Mann seinen Willen diktiert. Sicherlich besteht hier auch eine gewisse einseitige Abhängigkeit und sicherlich findet man an jeder Art von Entwicklungszusammenarbeit (oder wie man es in diesem Fall nennen möchte) eine Problematik, wenn man nur lange genug sucht. Aber hat sich durch diese Zusammenarbeit an der Schule etwas verbessert? Ja. Und das sage nicht ich, sondern die Schulleiterin, die mir gerade eben noch von den Anfangszeit der Schule berichtet hat und von den immensen Problemen, mit denen sie damals konfrontiert war. Wir haben uns eine Weile über die zahlreichen Freiwilligen unterhalten, die in den letzten Jahren hier zu Gast waren und immer stets mit den alleroffensten Armen empfangen wurden und werden: Auch sie sagt, dass der größte "Nutzen" dieser Freiwilligenaufenthalte für die Schule sich für sie erst nach deren Abfahrt eingestellt hat, nämlich als Geld und Materialen gesammelt wurden. Was freilich nicht heißen soll, dass Aunti selbst sich nicht unglaublich stark an den Erinnerungen an die einzelnen Personen erfreut.

Es gibt dazu so viel mehr zu sagen... Natürlich ist's nur eine Schule von Tausenden. Natürlich "kauft" man sich mit Spendengeldern auch gerne ein gutes Gewissen. Natürlich haben diese Freiwilligenagenturen, die sich, wie ich hier aus erster Hand erfahre, wirklich unvorstellbar viel Geld bezahlen lassen, etwas hochgradig Zwielichtiges an sich. Natürlich kommen hier Menschen aus den falschen Gründen hin (Was sind die Richtigen? Gibt's die?). Natürlich hätte ich das Geld für mein Flugticket auch spenden können, genauso wie das Geld für meinen Computer oder das Geld für meine vier paar Schuhe - hier dann also der Egopart an meiner Entscheidung. Wenn die eine oder der andere jetzt denkt, dass es ja doch nur all about me ist: Ich werde versuchen, das hinzunehmen und kann nichtmal sagen, dass ich mir sicher bin, dass es falsch ist. Trotzdem hoffe ich, dass ich für diese Schule in Zukunft tatsächlich etwas GUTES tun kann, dass also die Gastfreundschaft, die mir hier von allen Seiten permanent entgegengebracht wird, sich buchstäblich auszahlen wird. Wir haben uns vorhin schon über konkrete Ideen ausgetauscht, zu denen ich mich hier näher zu äußern gedenke, sobald ihre Zeit reif ist.

Ich hoffe, das ist nicht zu balla balla, ich stoße hier wirklich reflexionstechnisch an die Auslastungsgrenzen meiner Hardware. Vielleicht schreibt ihr, bei Interesse und Bock, auch einfach mal Eure Gedanken dazu?

So, nach diesem Lesemarathon sollen die Geneigten mit ein wenig Augenbalsam in Form von Fotografien entlohnt werden. Ganz ohne Intro funktioniert's natürlich doch nicht, ich bin ja immerhin schon quasi fast fertiger Lehrer.

Kathi und ich waren von Mittwoch bis Freitag in Kumasi, der zweitgrößten Stadt Ghanas. Dort ist auch der Sitz des Königs der Ashanti (auch: Asante), der größten Bevölkerungsgruppe Ghanas, und wir haben uns dazu Vieles angesehen. Der erste König wurde gekrönt, nachdem ein Priester mit unerinnerbarem Namen erst ein Schwert excaliburmäßig und unrausziehbar im Boden versenkte (Muhammed Ali hat's z.B. nicht geschafft) und dann auch noch einen goldenen Thron (Golden Stool, das größte Heiligtum der Asante) aus der Luft empfing, der durch seine auf-dem-Schoß-Niederlassung den ersten König auswählte. Die Briten haben diesen Thron mal, wie es sich für eine gierige Kolonialmacht gehört, eingefordert. Die Asante haben denen schlauerweise irgendeinen golden bemalten Schrottstuhl mitgegeben. Als den Briten dies klar wurden, führten sie WEGEN EINES STUHLS einen Krieg gegen die Asante, der vielen Menschen das Leben kostete. Hier ein Foto vom Schwert (schnapsbesudelt, vgl. Big Tree) und von Fake-Stuhl, sowie ein Gemälde vom Erscheinen des Golden Stool:

 

Hier seht ihr Fred, unseren über Freunde bekannten, supernetten Guide, der nicht nur down mit dem König ist, nein, sein Vater ist auch noch der stellvertretende Verteidigungsminister und gibt uns mit Glück die Tage eine Exklusivführung durch's Parlament. Wam.


Wir waren auch noch in 'nem Militärmuseum. Da gab's außer Knarren und Flaggen und Orden und so nicht allzu viel Spannendes zu sehen, außer den Kerkerzellen, in denen die Briten damals Asante-Kämpfer zum Sterben einsperrten. Echt erstaunlich, dass alle mir bekannten Leute hier ein mindestens neutrales Verhältnis zu Großbritannien haben, aber das Fass will ich nicht auch noch aufmachen. Hier noch ein kurzes Video vom Rückweg of Hell, sechseinhalb Stunden echte Gefühle:


Heute waren wir zur Graduation an Thaissas Schule eingeladen. Ein sehr langes Programm mit einigen sehr schönen Darbietungen, besonders hervorheben möchte ich hier die traditionellen Tänze. Es ist echt unfassbar und für mich auch beschämend, wie hammergut die Kids hier schon im Alter von drei Jahren abdancen können. Also beschämend halt, weil ich tanze wie ein alter Besen.


So, puh, das war's dann erstmal. Orrewa.
 

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank dafür, dass Du Deine Gedanken so offen teilst. Meinen Horizont erweiterst Du und zum Nachdenken regst Du mich im positivsten Sinne auch an!

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